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Unterwegs

Augen zu und: Beirut

Die Sonne senkt sich über dem Meer, das Land wird von den letzten Strahlen getroffen und zeigt sich im besten Lichte. Unser Flieger kreist um die Halbinsel, welche aus dem scheinbar unendlichen Küstenhang hervorlugt. Dass dieser bis zu den Schneebergen reicht, rundet den Blick durchs Bullauge beinahe übertrieben reizvoll ab.

Doch bei fehlendem Tageslicht und Austritt aus dem Flughafen werden Bilder geweckt, welche ich so sehnlichst zu verdrängen suchte. Wohin bringt uns der überfreundliche Taxifahrer wirklich? Wieso müssen wir auf diesem Parkplatz das Gefährt wechseln? Sind wir auf der richtigen, also einzigen vom EDA empfohlenen Strasse, welche uns sicher in die Hauptstadt bringen wird?

Wir wähnen uns im fernsten Asien – des Durcheinanders, der Gerüche, der dürftigen Bauten wegen. Dabei sind wir bloss im Nahen Osten. Auf Grund, um welchen vor wenigen Jahren noch erbittert gekämpft wurde. Umgeben von kriegführenden Staaten und Flüchtlingen in Millionenhöhe.

Ob es eine gute Idee war, Flo, Maurus und Lærke für diese einwöchige Retraite zu überzeugen – zumal ihnen der Zielort bis zum Checkin am Flughafen Kloten unbekannt war? Im Notfall würde es mir auch herzlich wenig nützen, dass sie sich ausdrücklich auf diese Überraschung einliessen und der eine Woche zuvor versendeten Packliste neugierig aber bedenkenlos folgten. Ich wähne mich in Zweifeln.

Das Dunkel lässt die Grossstadt mit ihren zerschossenen Häusern und Betongerippen nicht wirtlich erscheinen – die unbelebten Strassen, durch welche wir uns bewegen, lassen den Puls spürbar höher schlagen. Auch wenn das rückblickend keiner mehr zugeben will.

Flo'st in Translation.

Doch genau so soll’s ja auch sein. Wir bewegen uns auf fremdem Grund. Wir überwinden Grenzen und lernen Neues kennen. Wir wissen nicht, was sich hinter den Begriffen auf der Menukarte verbirgt. Wir verstehen weder Land noch Leute – wie konnte das mit dem Krieg gegen die eigenen Leute damals geschehen, was will uns der freundliche Herr auf der Strasse sagen?

Und wir wissen nicht, ob wir hier lebend raus kommen. Wollen. Denn am nächsten Tag sieht alles ganz anders aus.

Der Tagesausflug bringt’s ans Licht. Der Libanon hat ein faszinierend reiches Erbe. Laut unserem Guide mindestens 17 Kulturen. Gut geschichtet, grün überwachsen und inzwischen wieder halbwegs ausgegraben übers ganze Land verteilt. Lærkes Fund eines menschlicher Überreste wird den Forschern keine neuen Erkenntnisse bringen – ihr Aufschrei uns aber noch eine gut Weile in Erinnerung bleiben. Ebenso hat die unerwartete Schneewanderung in Turnschuhen im Halbhochgebirge Spuren hinterlassen. Und die mediteranen Palmen, einladenden Sandsteinbauten und das leckere Essen haben das ihre dazu beigetragen, dass wir dem Influencer Libanon auf den Leim gekrochen sind.

Brutalism.

Ein wildes Durcheinander von architektonischen Einflüssen, so würden wir als Laien meinen. Zweifelsohne jedoch mit seinem Charme und Reiz.

Es zeigt sich einmal mehr: Wir (Menschen) kriechen von Leim zu Leim. Das war schon immer so und wird sich nicht ändern. Wir hatten Vorbehalte und Bedenken gegenüber dem Land, weil wir im Libanon nur Bürgerkrieg, Flüchtlinge und den Hizbollah vermuteten. Und nun lachen wir über unsere änglichsten Spaziergänge durch die Stadt. Und fragen uns, wer davon profitiert, dass dieses Land gefährlich scheint und gespalten bleibt. Staunen ob der Herzlichkeit der Bevölkerung und können die Skepsis dem Westen gegenüber nachvollziehen.

Entscheidend ist also wohl die Mischung des Leims. Und dass er nicht allzu fest haftet.

So steht die Retraite in Beirut denn auch unter dem richtigen Stern: Im viertägigen Designsprint nehmen wir eine Vielzahl von Perspektiven ein. Mit dem Ziel, diese unter einem digitalen Dach vereinen zu können. Ob es uns gelungen ist?

Unfassbar.

Die Stadt kann als modernes Babylon verstanden werden – wo sich Kulturen, Religionen und schlicht Menschen zu arrangieren versuchen. Mit wahrlich spannendem Resultat.